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Energie-Souveränität im Zeitalter des industriellen Wettbewerbs: Europas Strategie für saubere Energie

27 mars 2025

Von Océane Balbinot-Viale, Sustainable Investment Research Analyst, Crédit Mutuel Asset Management Crédit Mutuel Asset Management ist eine Asset-Management-Gesellschaft der La Française Gruppe, der Holdinggesellschaft des Asset-Management-Geschäftsbereichs der Credit Mutuel Alliance Fédérale.

Gefangen zwischen dem ehrgeizigen Übergang zu sauberer Energie und den harten Realitäten industrieller Wettbewerbsfähigkeit und geopolitischer Turbulenzen muss Europa seine Strategie ausbauen. Der Clean Industrial Deal (CID)1 der Europäischen Union (EU) ist nicht nur Klimapolitik, sondern unterstreicht auch die Rolle erschwinglicher Energie als Schlüsselfaktor sowohl für die Energie-Souveränität als auch für die industrielle Wettbewerbsfähigkeit. Indem der CID erschwingliche Energie zur Priorität macht, signalisiert er eine Verlagerung hin zu einer stärker interventionistischen Haltung. Allerdings wirft die Abhängigkeit von Verträgen wie Stromabnahmevereinbarungen (Power Purchase Agreements, PPA) oder Differenzverträgen (Contracts for Difference, CFD) und Stromnetzverbindungen Fragen hinsichtlich der Fähigkeit Europas auf, sich vor volatilen Märkten und externen Abhängigkeiten zu schützen.

Während der CID erschwingliche Energie als Mittel zur Gewährleistung der industriellen Lebensfähigkeit betont, erkennt er auch implizit den strukturellen Energiekostennachteil Europas gegenüber den USA oder China an. Hohe Energiepreise belasten seit langem die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie, deren Produktionskosten aufgrund energieintensiver Prozesse sehr empfindlich auf Energiepreisschwankungen reagieren2. PPA und CFD sorgen zwar für Preistransparenz, beantworten aber nicht die Frage, ob Europa im eigenen Land ausreichend saubere Energie zu weltweit wettbewerbsfähigen Preisen erzeugen und seine Anfälligkeit gegenüber externen Energieschocks verringern kann.

Die strategische Tragweite der Energiepolitik des CID wird noch deutlicher, wenn man die Abhängigkeit Europas von kritischen Rohstoffen für den Übergang zu sauberer Energie betrachtet – diese werden überwiegend aus Ländern außerhalb der EU bezogen3. Obwohl der CID versucht, dieses Problem durch die Schaffung einer zentralen Beschaffungs- und Vorratsagentur, des Europäischen Zentrums für kritische Rohstoffe, anzugehen, wird dies nicht ausreichen, um die Abhängigkeit Europas von einer Handvoll Lieferanten, insbesondere China4, zu bekämpfen. Dies könnte Europa anfällig für Störungen der Lieferketten und für Nicht-EU-Länder mit geopolitischen Einflussmöglichkeiten machen.

Die Rolle der Kernenergie innerhalb des CID-Rahmens stellt Europa auf seinem Weg zur Energiesouveränität vor erhebliche Herausforderungen. Hohe Kapitalkosten, lange
Vorlaufzeiten und politische Erwägungen werfen nach wie vor die Frage auf, ob Kernenergie als kurzfristige Lösung für bezahlbare Energieversorgung taugt. Auch die Abhängigkeit Europas von externen Lieferanten für Schlüsselkomponenten des Kernbrennstoffkreislaufs5 verdeutlicht die anhaltenden Schwachstellen auf dem Weg zur vollständigen Autarkie. Das Bekenntnis des CID zur „Technologieneutralität“ schafft jedoch die Möglichkeit, dass Kernenergie eine wichtigere Rolle beim Übergang zu sauberer Energie spielen kann. Mit kräftiger Unterstützung wichtiger Mitgliedstaaten wie Frankreich könnte Kernenergie als stabile, kohlenstoffarme Energiequelle erneuerbare Energien ergänzen und zu einer zentralen Säule der langfristigen Energiesicherheitsstrategie Europas werden.

Der Erfolg des CID bei der Stärkung des europäischen Stromnetzes und der Integration der Energiemärkte in den Mitgliedstaaten wird letztlich von der Bewältigung der wichtigsten Herausforderungen abhängen. Ein stärker vernetztes Energiesystem führt nicht automatisch zu niedrigeren Kosten6 – vor allem dann nicht, wenn die heimische Kapazität erneuerbarer Energien nicht im erforderlichen Tempo wächst, um die industrielle Nachfrage zu decken. Darüber hinaus kann eine höhere Netzflexibilität zwar helfen, Versorgungsschwankungen zu bewältigen7, sie beseitigt jedoch nicht die grundsätzliche Abhängigkeit Europas von Energieimporten. Durch den Abbau regulatorischer Hindernisse für den Netzverbund und Investitionen in die grenzüberschreitende Infrastruktur schafft der CID jedoch die Grundlage für ein robusteres Energiesystem.

Ein interessanter Aspekt der Energiesouveränität ist auch der Versuch des CID, Europa durch kollektive Abnahme gegen die Volatilität der Gasmärkte abzusichern. Diese Strategie birgt allerdings auch Risiken: Wenn man sich darauf verlässt, dass eine EU-weite Task Force für den Gasmarkt günstigere Bedingungen aushandelt, muss Europa in einer zunehmend wettbewerbsorientierten Energielandschaft eine ausreichende Verhandlungsmacht behalten. Außerdem könnten diese kollektiven Beschaffungsmaßnahmen die Abhängigkeit Europas von Erdgas eher verstärken als verringern, wenn nicht gleichzeitig der Ausbau erneuerbarer Energien vorangetrieben wird.

Der Ansatz des CID für erschwingliche Energie bietet der Industrie die dringend benötigte Entlastung und legt gleichzeitig den Grundstein für eine sauberere und stabilere Zukunft. Um das volle Potenzial des CID auszuschöpfen, müssen strukturelle Schwachstellen angegangen werden – durch ein stärkeres Bekenntnis zur heimischen Energieerzeugung, eine proaktivere Industriepolitik und einen strategischen Ansatz zur Sicherung kritischer Lieferketten. Die vom CID ausgehende Dynamik bietet Europa jedoch die Möglichkeit, seine Energielandschaft neu zu definieren, Herausforderungen in Impulse für Innovation und langfristige Sicherheit zu verwandeln und eine weltweit führende Rolle im Bereich sauberer, unabhängiger Energie einzunehmen.

Dieser Kommentar dient nur zu Informationszwecken. Die vom Autor geäußerten Meinungen beruhen auf den aktuellen Marktbedingungen und können ohne Vorankündigung geändert werden. Die in dieser Publikation enthaltenen Informationen beruhen auf als zuverlässig erachteten Quellen, doch übernimmt die Groupe La Française keine Gewähr für deren Richtigkeit, Vollständigkeit, Gültigkeit oder Relevanz. Herausgegeben von La Française Finance Services mit Sitz in 128 boulevard Raspail, 75006 Paris, Frankreich, einem Unternehmen, das von der Autorité de Contrôle Prudentiel als Wertpapierdienstleister reguliert wird, Nr. 18673 X, einer Tochtergesellschaft von La Française. Crédit Mutuel Asset Management: 128 boulevard Raspail, 75006 Paris ist eine von der Autorité des marchés financiers unter der Nummer GP 97.138 zugelassene Verwaltungsgesellschaft. Société Anonyme mit einem Kapital von 3871680 €, RCS Paris n° 388.555.021, Crédit Mutuel Asset Management ist eine Tochtergesellschaft der Groupe La Française, der Vermögensverwaltungs-Holdinggesellschaft der Crédit Mutuel Alliance Fédérale.
 

 



1Clean Industrial Deal - European Commission
2Competitiveness of European Energy - Intensive Industries
3Meeting the costs of resilience: The EU's Critical Raw Materials Strategy must go the extra kilometer
4Ibid
5Analysis of Nuclear Fuel Availability at EU Level from a Security of Supply Perspective
6Sweden open to power cable project if Germany reforms, minister say
7Renewable Revolution: A Review of Strategic Flexibility in Future Power Systems

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